Sketchnote zu 3 Tipps, um Zeitfresser in der Retrospektive zu umgehen.

Zeitprobleme in der Retrospektive? So gelingt dir ein pünktliches Ende mit Ergebnis

Das Ziel der Retrospektive ist es, aus der Vergangenheit zu lernen und Verbesserungen für den nächsten Sprint zu definieren.
Ich erinnere mich aber an viele Retrospektiven, in denen wir nicht bis zu diesem Ergebnis gekommen sind:

  • Die Retrospektive war auf 90 Minuten angesetzt. Nach 45 Minuten sammelten die Teammitglieder immer noch Daten und Fakten darüber, wie der Sprint verlaufen war.
  • In der Vorstellungsrunde stellte jeder unbeeindruckt seine Punkte vor, auch wenn sie bereits von anderen genannt worden waren.
  • Bei der Analyse von Problemen verloren sich die Teammitglieder in endlosen Diskussionen.

Das Ergebnis: Am Ende reichte die Zeit nicht, um Verbesserungen für den nächsten Sprint zu definieren.

Kommt dir das bekannt vor? Dann ist dieser Artikel für dich. Ich teile drei Tipps mit dir, die da greifen, wo die größten Zeitfresser liegen: Beim Sammeln von Gedanken und Daten zum letzten Sprint und beim Diskutieren von Problemen.

Los geht’s mit dem ersten Tipp:

Tipp 1: Parallelisiere das Sammeln von Gedanken und Fakten

In einem kleinen Team ist folgendes Vorgehen möglich: Jedes Teammitglied schreibt seine Gedanken zum Sprint auf. Anschließend werden diese der Reihe nach vorgestellt. Jedes Mitglied erhält ausreichend Zeit, seine Beobachtungen und Interpretationen vorzustellen und auf Rückfragen der anderen zu antworten.

Meiner Ansicht nach funktioniert dieser Ansatz bis zu einer Teamgröße von vier Personen. Danach übersteigt der Zeitaufwand den Nutzen für das Team. Das heißt, es entstehen zu wenige neue Erkenntnisse gemessen an der benötigten Zeit.

Hier sind zwei Techniken, die für Teams mit mehr als 4 Mitgliedern ermöglichen, dass sich jeder äußert – ohne dabei mehr Zeit zu verlieren:

1-2-4-All

Diese Technik funktioniert folgendermaßen:

  • Jedes Teammitglied erhält eine Minute Zeit, sich Gedanken zu diesem Sprint zu machen.
  • Dann bilden die Teammitglieder Paare und entwickeln ihre Gedanken weiter, die auf den individuellen Überlegungen basieren. Hierfür haben sie etwa zwei Minuten Zeit.
  • Anschließend schließen sich zwei Paare zu einer Vierergruppe zusammen und nutzen die nächsten vier Minuten, um ihre Gedanken auszutauschen, zusammenzufassen und weiterzuentwickeln.
  • Zum Abschluss stellen die Vierergruppen ihre wichtigsten Erkenntnisse und Einsichten den übrigen Teammitgliedern vor.

Gallery Walk

Anstatt die Notizen jeder Person einzeln vorzustellen und zu besprechen, werden sie wie Gemälde in einer Kunstgalerie ausgestellt. Die Teammitglieder bekommen anschließend Zeit, die Exponate im Detail und in Stille zu betrachten.

Diese beiden Techniken sind enorm hilfreich, um die Vorstellung von Gedanken, Beobachtungen und Interpretationen abzukürzen und Doppelungen zu vermeiden. Sie sorgen außerdem dafür, dass alle Teammitglieder ihre Gedanken einbringen und verhindern eine ungewollte Wertung durch zeitliche Reihenfolge.

Tipp 2: Beginnt mit dem Datensammeln schon vor dem eigentlichen Retro-Termin

Wann beginnt die Retrospektive eigentlich?

Lange war ich überzeugt, dass eine gute Retrospektive mit einem Check-in oder dem „Bereiten der Bühne“ beginnen muss. Gefolgt von vier weiteren Schritten:

Ablauf einer typischen Retrospektive:

  • Check-in
  • Daten sammeln
  • Einsichten gewinnen
  • Maßnahmen planen
  • Abschluss

Versteh mich nicht falsch: Es ist eine gute Idee, diesem etablierten Ablauf zu folgen. Aber wenn das regelmäßig dazu führt, dass keine Zeit mehr bleibt, um zu einem Ergebnis zu gelangen, weil z. B. die ersten drei Phasen bereits 90 Minuten in Anspruch genommen haben und darum konkrete Maßnahmen nicht mehr besprochen werden können, solltest du etwas ändern.

Eine Möglichkeit: Ändere die Reihenfolge der fünf Phasen und lagere das Datensammeln aus dem eigentlichen Termin der Retrospektive aus. Konkret: Bitte die Teammitglieder, noch vor dem eigentlichen Retrospektivtermin Daten, Beobachtungen und Fakten zum Sprint zu sammeln. Du setzt damit den Punkt „Daten sammeln“ vor den „Check-in“.

Zum Sammeln der Daten während des Sprints eignen sich diese beiden Methoden:

  • Erstelle ein Stimmungsbild: Eine Umfrage muss von jedem Teammitglied vor dem Retrospektivtermin ausgefüllt werden. Dadurch entsteht ein umfassendes Stimmungsbild dieses Sprints. In der Umfrage werden verschiedene Kategorien abgefragt, wie zum Beispiel „technische Schulden,” „das Erreichen des Sprint-Ziels” oder „die Zusammenarbeit im Team”. Die möglichen Antworten liegen auf einer Skala von 1 bis 5 und lassen sich in einem Spinnendiagramm visualisieren.
  • Feedback-Box: Stelle eine Box mit der Aufschrift „Anonymes Feedback fürs Team“ auf. Hier können die Teammitglieder und auch die Stakeholder, beispielsweise nach dem Sprint-Review, dem gesamten Team anonym Rückmeldung geben.

Beide Methoden ermöglichen die Datensammlung zum Sprint bereits vor der Sprint-Retrospektive. Dadurch wird ein guter Teil der Zeit während des eigentlichen Termins gespart.

Tipp 3: Hilf dem Team dabei, nicht in der Problemanalyse zu verharren

Neben der Phase „Daten sammeln“ kann auch die Phase „Einsichten gewinnen“ ein großer Zeitfresser sein.

Oft beobachte ich, wie sich das Team in der Problem-Analyse verliert. Die Entwickler versuchen, die Ursache des Problems zu verstehen, und graben dabei immer tiefer – sprichwörtlich vom Hundertsten ins Tausendste.
Methoden wie „5 Warums“ oder das „Fischgräten-Diagramm“ können das Team dabei noch mehr anstacheln. In einigen Fällen ist diese Analysetiefe natürlich angebracht, etwa bei der Analyse eines Softwarefehlers. Allerdings habe ich in über zehn Jahren die Erfahrung gemacht, dass der Nutzen einer solchen Analysetiefe in Retrospektiven eher die Ausnahme ist.

Die meisten Teams profitieren davon, wenn wir uns in der Retrospektive auf einen wünschenswerten Zustand fokussieren.  Und dann unsere Stärken und Möglichkeiten nutzen, um eine positive Veränderung herbeizuführen. Diese Herangehensweise ist häufig effektiver als eine Konzentration auf Schwächen und Probleme – und sie spart Zeit.

Das „Perfection Game“

Mit dem „Perfection Game“ kannst du diese Herangehensweise konkret umsetzen. Das funktioniert so:

Um eine vertrauensvolle Atmosphäre sicherzustellen, empfiehlt es sich, Arbeitsvereinbarungen zu wiederholen wie z.B. „The Prime Directive“:

„Unabhängig davon, was wir entdecken werden, verstehen und glauben wir aufrichtig, dass in der gegebenen Situation, mit dem verfügbaren Wissen und den Ressourcen und unseren individuellen Fähigkeiten, jeder sein Bestes getan hat.“

Norman L. Kerth: „Project Retrospectives: A Handbook for Team Review” (2001).

Dann identifizierst du Verbesserungen für den nächsten Sprint, indem du drei Fragen stellst:

  • Wie bewerte ich den letzten Sprint auf einer Skala von 1 bis 10?
  • Was hat mir im letzten Sprint gut gefallen, was zu meiner Bewertung führte?
  • Was hätte den letzten Sprint perfekt gemacht – was fehlt zur 10?

Zum Schluss werden die Ergebnisse gruppiert, diese Gruppen im Team besprochen und Verbesserungen mithilfe von „Dot Voting“ priorisiert. Der Vorschlag mit den meisten Stimmen sollte zum Sprint-Backlog für den nächsten Sprint hinzugefügt werden.

Eine ausführliche Anleitung des „Perfection Game“ kannst du dir im Video zu meinem Webinar „Effektive Facilitation der Scrum-Events” (YouTube) ab Minute 32 anhören.

Keine Retrospektive ohne Ergebnis

Das Event der Retrospektive erfüllt den Zweck, Wege zur Steigerung von Qualität und Effektivität für den nächsten Sprint zu planen. Der Grund, warum es oft nicht leicht ist, im gesetzten Zeitfenster des Termins zu diesem Ergebnis zu gelangen, liegt in aller Regel an den beiden Phasen der Retrospektive, die das Potenzial haben, viel Zeit zu schlucken: Das Sammeln von Daten und die Problemanalyse.

Bei Teams von mehr als vier Mitgliedern empfiehlt es sich darum, das Datensammeln entweder vor den Retrospektivtermin auszulagern oder im Termin zu parallelisieren. Die Problemanalyse lässt sich durch Facilitations-Techniken wie das „Perfection Game” im zeitlichen Rahmen halten.

Was sind deine Erfahrungen mit den verschiedenen Phasen der Retrospektive und der Herausforderung, im gesetzten Zeitrahmen zu bleiben? Ich freue mich über deinen Kommentar!

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2 Kommentare

  1. Hallo Simon,
    vielen Dank für die Impulse in diesem Blog-Post.
    Gerne teile ich auch noch meine Erfahrungen zu Retrospektiven.

    Das Sammeln von Themen lasse ich oft in einem echten Brainstorming erfolgen. Sprich: Alle benennen zeitgleich Themen und schreiben diese direkt auf Post-Its. Hierbei sind nur Verständnisfragen erlaubt und noch keine Diskussion. So kann man auch mit Teams größer 4 Personen innerhalb von 5 Minuten auf eine große Anzahl an Themen kommen, die auch schon alle gehört haben.

    Ein weiterer Zeitfresser ist, dass das Team über alle genannten Themen sprechen will. Das habe ich schon von mehreren Teams so gehört. Hier zwei Gedanken:
    1. Meistens reicht es über die 2-5 wichtigsten Themen zu sprechen. Diese lassen sich bspw. durch ein Dot-Voting herausfinden.
    2. Themen, die so wichtig sind, dass man darüber sprechen muss, aber in dieser Retro aus Zeitgründen nicht mehr angesprochen werden, kommen in der nächsten Retro wieder auf, wenn sie wirklich wichtig sind. Also keine Angst, sie gehen nicht verloren.

    Eine Möglichkeit den Zeitfressern endlose Problemanalyse oder endlose Diskussionen Herr zu werden, ist für mich die Lean-Coffee Methode. Oft sind sich alle Teilnehmer einig, dass lange genug über einen Punkt diskutiert wurde. Es braucht aber jemanden, der sie danach konkret fragt.

    Viele Grüße
    Simon

    1. Hallo Simon,

      vielen Dank für dein Feedback!

      Deine Tipps sind eine wertvolle Ergänzung. Der Gedanke: „Nichts geht verloren, wenn wir nur über die wichtigsten Themen sprechen“ gefällt mir dabei besonders.
      Ich bin mir sicher, dein Team profitiert sehr davon.

      Deinen Punkt „Alle sind sich eigentlich einig, dass lange genug diskutiert wurde, es muss nur jemand danach fragen“ greife ich auch in einem Beitrag auf, in dem es um Entscheidungsfindung geht (Punkt 2: „Die Entscheidung, eine Entscheidung zu treffen“). Vielleicht ist das für dich auch interessant: https://www.colenet.de/blog/facilitation/anleitung-zur-entscheidungsfindung-in-scrum-events/

      Scrum on!

      Simon

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